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«Euphoria» – das trans-amouröse Begehren von Schwulen

In der HBO-Serie spielt Superstar Jacob Elordi einen Teenager, der Angst vorm Schwulsein hat und trans Frauen begehrt

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Jacob Elordi in «Euphoria» (Foto: HBO)

Auf den ersten Blick scheint die HBO-Serie «Euphoria» nur eine weitere Teenager-High-School-Geschichte zu sein, besonders düster, surrealistisch und sexuell freizügig erzählt. Viele LGBTIQ-Medien feierten den Achtteiler jedoch als Meilenstein in der Darstellung modernen queeren Liebens. Neben der zentralen Love Story zwischen Rue und Jules ist es das komplizierte Begehren von Transgeschlechtlichkeit bei den zwei cis-männlichen Hauptfiguren, die Neuland betritt und erstmals eine «schwule» Perspektive eröffnet.

Die von Sam Levinson entwickelte Serie – die in den USA unter viel Kritikerbeifall abgelaufen und in Deutschland bei Sky Atlantic zu sehen ist – handelt im Kern davon, wie sich verschiedene Teenager*innen im Alter von 17 bis 19 nach «Glück» sehnen: nach einem «euphorischen» Zustand. Sie tun dies in Zeiten von Online-Dating, Sexting, Internetpornografie, wo jeder sein eigener Star sein kann (und ist) und in Zeiten von überall verfügbaren Drogen. Sie tun dies aber auch in Zeiten von Genderdebatten und dem Zerbrechen von etablierten Rollenbildern für Jungs und Mädchen.

Im Zentrum der Geschichte steht Rue, gespielt von Zendaya (bekannt aus «The Greatest Showman»). Rue ist drogensüchtig geworden nach dem Krebstod ihres Vaters, weil sie den Schmerz nicht ertragen konnte. Aus dem Entzug zurück, trifft sie in der High-School die neue Schülerin Jules, spielt von Hunter Schafer.


Schafer ist eine wunderbare neue trans Schauspielerin, die hier ein trans Mädchen spielt, das online Dates sucht mit älteren, besonders brutalen Männern, die sie in Hotelzimmern erniedrigen. Jules sagt irgendwann, dass erst dies sie fühlen liesse, «eine vollwertige Frau» zu sein.

Hunter Schafer (l.) und Zendaya als Jules und Rue in der HBO-Serie «Euphoria» (Foto: HBO)

Parallel zu dieser hochproblematischen Einstellung und den entsprechenden Dates entwickelt sich die ganz andere Beziehung zu Rue – die sich nicht festlegen lässt. Gerade dieses Fliessende und Uneindeutige wurde von queeren Medien gefeiert; es lässt viele Interpretationen zu, die jeder Zuschauer selbst für sich finden muss. In der Serie wird diese Uneindeutige nicht problematisiert, sondern im Gegenteil zelebriert und von der Umgebung der beiden Figuren rundum akzeptiert – als primär lesbisch gelesene Beziehung. (Inwieweit Rue die Beziehung anders versteht, wird nicht verraten.)

Eric Dane als Familienvater Carl in «Euphoria», der sich heimlich mit nicht-binären Teenagern in Hotelzimmern trifft (Foto: HBO)

Eines des Dates, das Jules gleich zu Beginn der Serie in einem schäbigen Hotelzimmer hat, ist mit Cal Jacobs (Eric Dane): ein Familienvater, der sich im Geheimen mit nicht-binären Teenagern trifft, scheinbar vorzugsweise mit solchen, die weiblich aussehen, aber einen Penis haben. Er sammelt dazu Pornofilme auf DVD, die er in seinem Arbeitszimmer im Schreibtisch unter Verschluss hält. Dort findet sie irgendwann sein Sohn Nate (Jacob Elordi), der Fussballkapitän der High-School ist und ein zwei Meter grosser «All American Jock», wie er im Bilderbuch steht. Er kriegt die Bilder aus den Filmen seines Vaters nicht aus dem Kopf und fängt seinerseits an, trans Frauen zu suchen.


Während der Vater seine Begierde (vorerst) perfekt im Griff hat und sein offizielles Leben vollständig von seinem geheimen Sexleben trennt, schafft Nate das nicht. Er fängt zum einen eine anonyme Online-Affäre mit Jules an, der er Dick Pics von sich schickt, zum anderen hat Nate hunderte Fotos von nackten Männern auf seinem Handy gespeichert. Und er hat eine Cheerleader-Freundin namens Maddy, bei der er während des Sex keine Erektion bekommt und die ihn offen eine «Schwuchtel» schimpft. Bevor sie später sagt, es sei okay, wenn er auf Männer stehe – nachdem sie die Fotos auf seinem Handy gefunden hat.

Jacob Elordi (mit dem markanten Muttermal auf dem Bauch) in einer der vielen Sexszenen in «Euphoria» (Foto: HBO)

Dieser Nate bringt eine neue Dimension in die Welt von Teenager-Serien. Denn was ist mit ihm: Ist er ein schwuler Mann, der auch auf trans Frauen steht? Ist er dann überhaupt schwul? Ist er bisexuell? Wie kombiniert er dieses Begehren nach trans Frauen und Männern mit seinem Selbstbild, ein allzeitbereiter Heterohengst zu sein, der mit den anderen Fussballspielern in der Umkleidekabine sexistische Witze reisst? Und mit wem soll er über all das sprechen? Wo findet er Vorbilder für seine Situation, die ihm zeigen könnten, welche Optionen es gibt.

In der Ryan-Murphy-Serie «Pose» (aktuell bei Netflix) gibt es in der ersten Staffel eine ähnliche Situation. Dort spielt Chris Meloni einen Geschäftsmann namens «Dick», der ebenfalls eine Schwäche für trans Frauen mit Penis hat. Um diese zu treffen, mietet er für seine Langzeitgeliebte Elektra Abundance in der Park Avenue ein Apartment. Als Elektra eine geschlechtsangleichende Operation durchführen lässt, verlässt Dick sie ohne mit der Wimper zu zucken. Und sucht sich eine Neue.

Indya Moore als Angel (l.) mit Evan Peters als Ehemann-auf-Abwegen Stan in Staffel 1 der Ryan-Murphy-Serie «Pose» (Foto: Netflix/FX)

Interessant ist, dass Dick sich selbst nicht als homosexuell sieht. Was dem entspricht, was in vielen Artikeln zu heterosexuellen Cis-Männern zu lesen ist, die trans Frauen begehren. (In «Pose» wird die gleiche Geschichte auch erzählt am Beispiel des verheirateten Stan und trans Frau Angel.) Oft erfährt man in solchen Artikeln, dass Hetero-Männer den weiblichen trans Körper als Fetisch betrachten, den sie nur im Verborgenen begehren; sie würden niemals mit einer trans Frau in die Öffentlichkeit treten oder sich zu einer entsprechenden Beziehung bekennen. Sex ja, mehr nicht.

Während «Pose» in den 1980er-Jahren spielt, hat sich an dieser Einstellung bis heute wenig geändert, zumindest für eine Generation von Männern wie Nate Jacobs in «Euphoria», der sich ebenfalls als heterosexuell sieht, mit Ehefrau, Kindern und eben diesem Fetisch, über den er nicht spricht.

Jacob Elordi (r.) und Eric Dane in der HBO-Serie «Euphoria» als trans-amouröses Vater-Sohn-Team (Foto: HBO)

Was aber ist, wenn ein schwuler Mann eine trans Frau oder einen trans Mann begehrt? Darüber gibt es erstaunlich wenige Artikel.

Geht man auf ein Online-Portal wie PornHubGay, findet man neben vielen anderen Kategorien auch «Transgender» mit aktuell 34.000 Filmen. Es gibt dort die Unterkategorien «Shemale fucks guy» und «Transgender fucks girl», aber auch «Tranny», «FTM»  (Female to Male) und «MTF» (Male to Female).

Pornografie spricht zum Publikum, weil es absolut messerscharf blosslegt, wer wir sind unter dem Deckmantel der sozialen Konformität

Das sind Begriffe, die politisch vollkommen unkorrekt sind; trotzdem werden sie benutzt: also gesucht, gefunden und mit Inhalt gefüllt. Egal wie laut das Geschrei in der aktuellen Queer-Szene. Laura Kipnis schreibt in «Bound and Gagged: Pornography and the Politics of Fantasy in America», Pornografie sei ein «Geschäft, das deshalb so beliebt ist, weil es Wege findet, Dinge zu artikulieren und zu behandeln, die fürs Publikum wichtig sind. Pornografie spricht zum Publikum, weil es absolut messerscharf blosslegt, wer wir sind unter dem Deckmantel der sozialen Konformität.» Oder unter dem Deckmantel der politischen Korrektheit. Laut Kipnis sind Pornos «ein Ort, wo problematische soziale Themen ausgedrückt und verhandelt werden können».

In seinem Buch «Gay Pornography: Representations of Sexuality and Masculinity» schreibt John Mercer 2017 ausführlich über «Typen» wie den «boy next door», den «Twink» und den «Daddy», über den «gefoppten Hetero-Mann», den «Ledermann» und den «Schwarzen Mann», den «Gay for Pay»-Darsteller, über Rasse, Klasse, «Real People» und «Kink» – aber er schreibt nicht darüber, wie durch das Internet und Online-Pornoportale die Sichtbarkeit und Verfügbarkeit von Filmen mit trans Darsteller*innen geradezu explodiert sind. Er fragt auch nicht, inwiefern diese Filme zu «Gay Pornography» gehören.

Jacob Elordi als «All American Jock» in «Euphoria» (Foto: HBO)

«Euphoria» greift diese Frage auf. Und beantwortet sie nicht. Denn wenn die Queer-Bewegung die Binarität von Männlich und Weiblich einreissen will, dann will sie gleichzeitig auch die Unterteilung in Hetero- und Homosexuell aufheben. Was «Euphoria» auf vielen Ebenen ebenfalls tut.

Auf die Frage, was wäre, wenn es Heteronormativität als weltumspannendes Verhaltensmodell und Verhaltensvorbild nicht gäbe, antwortete Soziologin Sabine Hark vor einigen Tagen im Tagesspiegel: «Dann hätten wir auch keine Homosexualität mehr. Die gibt es ja nur, weil sie als Abweichung von der Heteronorm gilt. Heterosexualität gäbe es dann natürlich auch nicht mehr. Das Begehren wäre nicht mehr in zwei grosse Klassen eingesperrt. Die Menschen würden sich zwar sicher weiter nach bestimmten Kriterien zusammenfinden, aber eben nach ganz anderen, als wir uns heute vorstellen können. […] Es gäbe unendliche Kombinationsmöglichkeiten von Geschlecht, Identität und Begehren.»

Auf die Sorge, dass dies der Untergang des Abendlandes sein könnte, sagt Hark, dass es im Gegenteil einen «Zuwachs an Freiheit» bedeute, der doch für alle «wünschenswert» sein sollte. Auch für Schwule?

Letztlich misshandelt er allerdings primär sich selbst

In «Euphoria» nutzt die selbstbewusste Rue den Zuwachs an Freiheit, während der von toxischer Männlichkeit – und den Erwartungen seines Vaters – geplagte Nate davon überfordert ist. Und zusammenbricht. Er wird, in den Worten seiner Freundin Maddy, zu einem «abusive psychopath», also zu einem Psychopathen, der andere verletzt und misshandelt. Letztlich misshandelt er allerdings primär sich selbst, weil er mit den verschiedenen Ebenen seiner Begierde nicht umzugehen weiss.

Jacob Elordi auf dem Cover der Sommerausgabe von «Wonderland» (Foto: Wonderland)

Eine solche Geschichte in einer HBO-Serie zu erzählen und dann auch noch mit einem der grössten Teenager-«Heartthrobs» des Augenblicks (der 22-jährige Australier Elordi ist der Star des Netflix-Hits «The Kissing Booth») kann man bemerkenswert finden. Man kann es sogar als Meilenstein bezeichnen. Die Zeitschrift Wonderland hat Elordi mit der Geschichte aufs Cover genommen und lässt ihn im Interview erzählen, wie sehr er seine Partnerin Hunter Schafer bewundert. Und wie wichtig er es findet, in genau solch einer Serie mitzuspielen, statt nur 0-8-15 Romcom-Durchschnittsware zu produzieren. (Trotzdem dreht er gerade die Fortsetzung von «The Kissing Booth».)

Durch Elordi und Zendaya als Idolen einer jungen Mainstream-Generation kommt das ganze Thema «queeres Begehren» in eine öffentliche Arena, in der es vorher noch nicht angekommen war. Entsprechend ist verständlich, warum queere Medien «Euphoria» feiern und Szene-für-Szene analysieren. Auf eine ausführliche Analyse von Transbegehren in der Schwulenszene muss man wohl noch etwas warten. Aber dass sich auch dort etwas verändert, zeigt nicht zuletzt die Vielzahl von Pornofilmen mit Schwulenstars wie Justin Brody (Cockyboys), die mit trans Darsteller*innen gepaart werden – und offensichtlich ein Publikum im Gay-Universum finden.

Während bislang vor allem darüber debattiert wurde, ob trans-amouröse Männer ihre Identität als heterosexuelle Männer verlieren könnten, sollte man auch fragen, ob trans-amouröse oder neugierige Männer auch ihre Identität als Schwule verlieren könnten. Und ob das eigentlich so schlimm wäre?

Wegen des grossen Erfolgs hat HBO inzwischen bekanntgegeben, dass es eine zweite Staffel von «Euphoria» geben wird. Man darf gespannt sein, wie’s darin mit Nate und seinem Vater weitergeht.


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